Wie Perlen vor die Räder

Umweltfreundlich unterwegs zu einem besonderen Projekt der Naturlandstiftung: Zu Gast im Tal des Amdorfbaches

Von Pascal Reeber

WETZLAR/HERBORN. Radfahren und Naturschutz – das passt zusammen. Wenn ein Biotop dann auch noch direkt am Radweg liegt, umso besser. Eine passable Tagestour entlang der Dill führt Radler aus Wetzlar binnen 90 Minuten zu zwei Perlen im Fundus der Naturlandstiftung. Manch einer wird bereits ahnungslos an ihnen vorbeigeradelt sein.

Gleich drei Artender Roten Liste – Ringelnatter, Schlingnatter und Blindschleiche –, finden im Reptilienbiotop auf der alten Bahnstrecke zwischen Burg und Uckersdorf Heimat und Schutz unter dieser alten Tür, die Schüler der Wilhelm-von-Oranien-Schule dafür zweckentfremdet haben. Foto: Pascal Reeber

Noch sind die Flächen räumlich getrennt, erzählt der Vorsitzende der Naturlandstiftung, Horst Ryba, beim Besuch vor Ort. Die Stiftung aber arbeitet am Lückenschluss. Demnächst soll auch die Trasse des Radweges auf der alten Eisenbahn, der durch beide Biotope führt, in die Betreuung der Stiftung übergehen. Am Weg könnten zum Beispiel Nistkästen einen attraktiveren Lebensraum für viele Vogelarten schaffen.

Wobei die beiden Gebiete ja auch heute schon ihren Wert haben. Im Westen befindet sich in der Aue des Amdorfbaches ein Biotop für Reptilien und eines für Amphibien. Beide Arten haben ihre eigene Fläche, erzählt Timo Jung, Lehrer an der Wilhelm-von-Oranien-Schule (WvO) in Dillenburg. Die Schule stellt die Pflegegruppe, die sich im Auftrag und mit Unterstützung der Naturlandstiftung um das Biotop kümmert. Entstanden ist das alles aus der Idee des früheren Lehrers Rudolf Kaschte, der am alten Eisenbahndamm die Chance sah, den Biologieunterricht mit praktischer Arbeit aufzuwerten. Die Reptilien waren also zuerst da. Wenige Jahre später entstand dann der Bereich für Amphibien in der Aue. Dazu wurden alte Bewässerungsgräben reaktiviert, in Zusammenarbeit mit der Stadt und dem Amt für Bodenmanagement.

Regelmäßige Exkursionen vom Klassenraum ins Biotop

Und so leben beide nun friedlich nebeneinander. Die Reptilien lieben die Wärme und Trockenheit am alten Bahndamm. Und die Amphibien tummeln sich in der Aue mit reaktivierten Bewässerungsgräben und neu gebuddelten Tümpeln. „Früher wurde das Wasser für die Bewirtschaftung der Aue genutzt, heute steigert es den ökologischen Wert“, stellt Biologe Klaus Schmidt fest.

Mit seinen Schülern ist Lehrer Jung für beide Arten im Einsatz. Regelmäßige Exkursionen führen vom Klassenraum ins Biotop. Vor allem die Jugendlichen aus den Leistungskursen sind dabei. „Wegen Corona waren wir in diesem Jahr noch gar nicht hier“, bedauert der Lehrer. Denn alle außerschulischen Aktivitäten waren gestrichen worden. Und so hofft Jung, dass es bald wieder losgeht mir den Einsätzen, mit dem Graben von Wasserlöchern, dem Aufschichten von Totholzhaufen oder dem Anlegen von Steinhaufen für die Reptilien. Nur eines findet der Lehrer schade: „Wir fahren mit dem Rad von der Schule ins Biotop, es sind ja nur ein paar Kilometer. Leider haben viele ältere Schüler aber heute gar kein Fahrrad mehr.“

Horst Ryba erinnert sich an die erste Kontaktaufnahme zum Schulleiter der WvO vor Jahren. Der habe die Zusammenarbeit sehr begrüßt und die Hoffnung gehabt, Schüler weg vom Handy und hin zur Natur zu orientieren. „Wir haben hier die Möglichkeit, dem Entfremdungsprozess von der Natur Einhalt zu gebieten“, sagt Ryba. Nun, vielleicht gelingt das in Sachen Entfremdung vom Fahrrad ja auch.

Am Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) wird es nicht liegen. Die Touren, die zu den Biotopen der Naturlandstiftung führen, sind äußerst beliebt, weiß Tourenleiter Heiko Schröder. Ryba kann das bestätigen, speziell in diesem Jahr: „Durch Corona hat die Natur wieder eine ganz neue Beachtung erfahren.“

Das Aufstapeln von Totholzhaufen, die Anbringung von Nistkästen und leider auch viel zu oft das Auflesen von Müll sind die Pflegearbeiten im Biotop unter der Autobahnbrücke. Verantwortlich ist die Rittal-Foundation, zur Tat schreiten Azubis der Friedhelm-Loh-Group. Friedemann Hensgen und Matthias Hecker stellen die Arbeit der Pflegegruppe vor. Foto: Pascal Reeber

Rad ist das richtige Stichwort. Über den Radweg auf dem alten Bahndamm geht es zum Nachbarbiotop unter der Autobahnbrücke Ambachtal. Auch hier gibt es eine Pflegegruppe, auch hier ist sie ehrenamtlich im Einsatz für die Natur, und auch hier handelt es sich um junge Leute, in diesem Fall aber keine Schüler, sondern Azubis der Friedhelm-Loh-Gruppe. Sie pflegen einen rund 1,8 Kilometer langen Streifen links und rechts des Radweges, der durch seine Hanglage eine ganz besondere Bedeutung hat für Amphibien, Insekten und Vögel. Totholz aufschichten, Büsche und Bäume pflanzen und Nistkästen aufhängen – das sind typische Tätigkeiten bei den samstäglichen Arbeitseinsätzen. „Leider müssen wir auch viel Müll aufheben“, bedauert Pflegegruppenleiter Matthias Hecker. Er ist Ausbildungsleiter der Loh-Gruppe und legt großen Wert darauf, dass seine Azubis freiwillig im Biotop arbeiten.

Sorge um Erhalt der Natur endet nicht am Fabriktor

Keiner wird gezwungen, und es gibt auch keine besseren Noten für diejenigen, die zum Spaten greifen. „Wir merken in vielen Bewerbungen aber, dass junge Leute heute einen Arbeitgeber suchen, der sich engagiert. Daher passt die Arbeit im Biotop gut.“

Friedemann Hensgen, Vorsitzender der Rittal Foundation, findet das Engagement nur folgerichtig. Er verweist auf diverse Auszeichnungen für klimafreundliche, energiesparende Produkte aus dem Hause Loh. Die Sorge um den Erhalt der Umwelt müsse eine grundsätzliche Einstellung sein. „So etwas gibt man nicht am Fabriktor ab.“

Sagt’s und stapft ins Biotop. Wo der Laie nur Wald sieht, fallen Hensgen und Hecker die Juwelen des Areals auf. Farne zum Beispiel, die am felsigen Hang spezielle Bedingungen finden. Fledermausnistkästen hat die Pflegegruppe unlängst aufgehängt. Die Arbeit in der Natur motiviert, schweißt zusammen und trägt zur Teambildung bei, erklärt Hensgen. Es gilt also letztlich das, was Ryba zuvor für die Kooperation mit der WvO festgestellt hatte: „Wir haben hier eine Win-win-Situation.“

Seit 1985 kümmert sich die Naturlandstiftung um die Natur im Kreis. „Wir setzen alles nur auf gekauften oder gepachteten Flächen um“, erklärt Ryba und fügt mit Stolz an: „Uns ist bis heute kein einziger Pachtvertrag gekündigt worden.“ Die alte Bahntrasse hat die Stiftung mithilfe der Sparkasse gekauft, die Fläche damit langfristig für den Naturschutz gesichert. Er soll hier länger bleiben als die Eisenbahn.

Für die Anreise ab Wetzlar zum Doppelbiotop im Ambachtal eignet sich der Dilltalradweg am Besten. Das sind rund 29 Kilometer Strecke und je nach Kondition anderthalb bis zwei Stunden Fahrzeit. Vorteil dieser Streckenführung: Es geht immer an der Bahn entlang, beim Konditionsloch ist der Umstieg in den Zug möglich. Die Ortsdurchfahrt von Herborn ist ein wenig anstrengend, in Burg geht es links ab auf den Radfernweg 8 in Richtung Driedorf. Die beiden Biotope befinden sich etwa einen Kilometer hinter Burg. Dreieckige Schilder mit der Aufschrift „Naturland“ weisen deutlich darauf hin, am Reptilien- und Amphibienbiotop Ambachtal findet sich zudem eine große Übersichtstafel.

 

 

WNZ 18.08.2020

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